Neue Studie erforscht die genetischen Besonderheiten am Übergang zwischen Jagd und Landwirtschaft im neolithischen Mitteleuropa

19. Dezember 2019
Ein internationales Forschungsteam unter NHM Wien-Beteiligung untersuchte am archäologischen Fundort Brunn am Gebirge-Wolfholz (Österreich) eine rund 7.600 Jahre alte Siedlung der frühesten Bauernkulturen in Mitteleuropa und belegt den genetischen Austausch zwischen europäischen Jägern und Bauern aus dem Nahen Osten.
Seit 30 Jahren erforscht die Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien die älteste bäuerliche Siedlung, die man in Mitteleuropa kennt – Brunn am Gebirge, Flur Wolfholz. Vor über 7.600 Jahren kamen Siedler aus dem Nahen Osten über Südosteuropa und brachten die bäuerliche Lebensweise in die mitteleuropäische Region, die damals nur sehr dünn besiedelt war. Mit der Ankunft der ankommenden Bauern mussten lokale Jäger und Sammler, die zu dieser Zeit in Europa lebten, Platz machen. Die Menschen wurden sesshaft und betrieben Vorratswirtschaft.
Die Siedlung wurde in den Jahren 1989 und 2005 ausgegraben, das Fundmaterial wird seither mit den neuesten Methoden von einem internationalen Team wissenschaftlich erforscht. Das Alter von Brunn konnte auf 5670-5050 v. Chr. bestimmt werden – die Zeit der Entstehung der Linearbandkeramischen Kultur. Der Name dieser ältesten bäuerlichen Kultur in Mitteleuropa leitet sich von der charakteristischen Verzierung der Gefäße mit einem Bandmuster aus runden und eckigen Spiralbogenlinien ab, deren Grundlage eine Welle von Migranten aus Anatolien (heute Türkei) bildete, die um 5800-5600 v. Chr. auftrat. Die Ausgrabungen ergaben eine Fundgrube an materiellen Kulturgütern sowie vier Bestattungen innerhalb des ersten Teils des Komplexes, wahrscheinlich ein Ritualzentrum einer der frühesten Agrargemeinden in Europa.
 
Ein von der Nature Publishing Group in Scientific Reports am 20. Dezember 2019 veröffentlichter Artikel beschreibt nun die Analyse der genetischen Abstammung sowie der Ernährung und Mobilität der dort beigesetzten Personen, die von einem interdisziplinären Team von Forscherinnen und Forschern aus den USA, Österreich und der Ukraine durchgeführt wurde.
Es stellte sich heraus, dass die genetische Abstammung eines der Individuen eine nahezu ausgeglichene Spaltung zwischen westasiatischen Bauern und mitteleuropäischen Jägern und Sammlern aufweist. Seine väterliche genetische Abstammung stimmte mit der Herkunft des Nahen Ostens überein, während seine mütterliche Abstammung für die Jäger und Sammler Europas charakteristisch war. Ein solches Abstammungsprofil macht dieses Individuum zu einem potenziellen Nachkommen einer Jäger-Sammler-Mutter und eines Bauernvaters der ersten Generation und weist somit eines der frühesten Anzeichen für eine Vermischung zwischen örtlichen Jägern und Sammlern und einheimischen Bauern auf. Der Leichnam wurde mit sechs Radiolarit-Trapezen bestattet, einer Art von lokalem Gestein, das in der Gegend des Plattensees abgebaut wurde – möglicherweise sein Geburtsort. In diesem Individuum vereinen sich symbolisch die beiden Gruppen der Bauern und der Jäger und Sammler, am Beginn der europäischen landwirtschaftlichen Revolution.
 
Der Artikel (Open Access) kann über folgenden Link abgerufen werden:
www.nature.com/articles/s41598-019-56029-2
 
Artikel:
Nature Publishing Group, Scientific Reports 2019
Interactions between earliest Linearbandkeramik farmers and central European hunter gatherers at the dawn of European Neolithization
Alexey G. Nikitin, Peter Stadler (NHM Wien), Nadezhda Kotova (NHM Wien), Maria Teschler-Nicola (NHM Wien), T. Douglas Price, Jessica Hoover, Douglas J. Kennett, Iosif Lazaridis, Nadin Rohland, Mark Lipson, David Reich


Idol von der Fundstelle 2 in vier Ansichten

Foto: NHM Wien, Peter Stadler
Idol mit Trachtdetails und Schwelpech in den Ritzlinien

Foto: NHM Wien, Peter Stadler
Luftbild der Grabung 1992. Im gelben Lehm sind Hausgrundrisse als Rechtecke zu sehen (20 Meter lang und acht Meter breit).

Foto: NHM Wien, Peter Stadler

  
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