Mehr Sterne über Wien - „Lockdown“ in Wien hat auch die Lichtverschmutzung verringert

07. Mai 2020
Die Städte werden nicht nur größer, sondern auch immer heller. Neben Luftverschmutzung und Lärm zählt die sogenannte Lichtverschmutzung zu den größten Umweltbelastungen in Siedlungsgebieten. In Wien war sie im ersten Monat der Corona-Maßnahmen so gering, wie zuletzt vor 5 Jahren.
Lichtverschmutzung ist ungesund – und sie kostet Geld. In dem sogar noch in St. Pölten gut sichtbaren Lichtschein über Wien kann elektrische Energie von bis zu 500 Gigawattstunden pro Jahr stecken, die ungenutzt in die Umwelt entweicht. Damit ließen sich mehr als 100.000 Haushalte mit Strom versorgen. Rechnet man mit einem durchschnittlichen Strompreis von 20 Cent pro Kilowattstunde, kostet diese Energieverschwendung in der Bundeshauptstadt jährlich 100 Millionen Euro.
Durch die Einschränkungen der Wirtschaft im Zuge der Corona-Maßnahmen wurde dieser Effekt jetzt messbar verringert. „Die Messdaten zwischen 15. März und 14. April zeigen Werte, wie sie zuletzt im Jahr 2015 typisch waren“, sagt Günther Wuchterl vom Verein Kuffner-Sternwarte. Als Partner des Naturhistorischen Museum Wien beim Projekt „Lebensraum Naturnacht“ betreibt der Verein unter seiner Leitung ein Lichtmessnetzwerk und Wuchterl ergänzt: „Im langjährigen Durchschnitt wächst die Lichtverschmutzung Wiens um rund sechs Prozent pro Jahr. Dieser Trend hat sich jetzt umgekehrt, indem der Zuwachs von fünf Jahren mit einem Schlag rückgängig gemacht wurde. Die genauen Ursachen dafür erfordern allerdings noch detailliertere Analysen. Sicher ist, dass der Nachthimmel etwas dunkler ist als noch zu Anfang des Jahres und dadurch wieder mehr Sterne über Wien zu sehen sind.“ Sollte nun ein Umdenken stattfinden, dass eine derart exzessive Nutzung von Licht nicht unbedingt notwendig ist, könnte sich die erfolgte Reduktion zumindest teilweise als nachhaltig erweisen. „Damit ließen sich nicht nur Kosten einsparen sondern am Ende auch ein wesentlicher Betrag zum Umweltschutz leisten“, gibt Christian Köberl, Generaldirektor das Naturhistorischen Museums Wien zu bedenken.
 
Coronavirus – Einschränkungen auch in der Wissenschaft
Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus bedeuten aber auch Einschränkungen für die Arbeit im Rahmen des Projekts „Lebensraum Naturnacht“. Die Daten der Lichtmessstationen des Vereins in den Alpen konnten aufgrund der Ausgangsbeschränkungen noch nicht ausgelesen werden. Wenn die Stationen in den Schutzgebieten der Ostalpen jedoch wieder zugänglich sind, werden im Rahmen des Projekts „Lebensraum Naturnacht“ womöglich jene Lichtdaten aus den letzten Naturnacht-Gebieten geborgen, die ein Europa während einer außerordentlichen Phase der unfreiwilligen Reduktion des menschlichen Einflusses auf seinen Lebensraum dokumentieren. Aber selbst die vergleichsweise niedrigen Messwerte, die am Stadtrand von Wien während der Zeit des Corona-„Lockdown“ gewonnen wurden, liegen noch immer 10- bis 20-fach über jenen Werten, die derzeit noch in den weitestgehend naturbelassenen Nächten, wie beispielsweise im Weltnaturerbe des Wildnisgebiets Dürrenstein in Niederösterreich gemessen werden. „Das zeigt, dass wir noch sehr viel Arbeit vor uns haben, wenn wir die Naturnacht in Österreich auch für kommende Generationen erhalten wollen“ meint Christoph Goldmann, Leiter des Projekts „Lebensraum Naturnacht“ im NHM Wien und fügt an: “die neuen Messungen helfen uns dabei die Ursachen und Beiträge zur Lichtverschmutzung und damit auch die Ursachen der Bedrohung jener Lebensräume zu verstehen deren Erhaltung für Mensch und Tier lebenswichtig sind.“
 
Sterne zählen
Wer selbst nachschauen will, wie hell der nächtliche Himmel über dem eigenen Haus ist, kann das mit einem Blick zum Kleinen Wagen tun, indem man die dort sichtbaren Sterne zählt. Wenn man das macht, solange die Corona-Maßnahmen noch wirksam sind und es wiederholt, sobald die Wirtschaft wieder volle Fahrt aufgenommen hat, ist der Effekt direkt sichtbar. Am besten funktioniert das mit einem Citizen-Science-Projekt wie www.sternhell.at. Dort werden alle Sternzählungen zentral gespeichert und für internationale Vergleiche ausgewertet.
 
Das Projekt „Lebensraum Naturnacht“
Mit Start im Frühjahr 2019 wird in den darauffolgenden zwei Jahren ein interdisziplinäres Team auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Studien neue naturpädagogische Angebote zur Wahrnehmung der Nachtnatur entwickeln und Maßnahmen gegen die Lichtverschmutzung konzipieren. Mit einer Reihe von Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit, einem Beratungsangebot für Gemeinden im Rahmen des Projekts sowie einem Managementkonzept für Schutzgebiete, soll ein großer Beitrag zur Bewusstseinsbildung und Erhaltung ursprünglicher Nachtlebensräume sowie deren bedrohter Biodiversität geleistet werden. Neben dem Naturhistorischen Museum Wien sind an dem Projekt der Umweltdachverband, E.C.O. Institut für Ökologie und der Verein Kuffner-Sternwarte beteiligt. Gefördert wird das Projekt mit über € 220.000 von Bund (BMLRT) und Europäischer Union im Rahmen des Österreichischen Programms für ländliche Entwicklung 2014 bis 2020 (Programm LE 14-20) in Kooperation mit dem BMK.
 
Projekt Lebensraum Naturnacht:
https://www.nhm-wien.ac.at/forschung/projekt_lebensraum_naturnacht
 
Projektpartner:
Naturhistorisches Museum Wien (Projektkoordination): https://www.nhm-wien.ac.at
E.C.O Institut für Ökologie: https://e-c-o.at
Umweltdachverband gGmbH: https://www.umweltdachverband.at
Verein Kuffner-Sternwarte: http://kuffner-sternwarte.at
 
In Kooperation mit:
Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: https://www.bmk.gv.at/

Förderer:
ELER: https://ec.europa.eu/agriculture/rural-development-2014-2020_de
Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus: https://www.bmlrt.gv.at


 
Die Sternbilder „Großer Wagen“ und „Kleiner Wagen“ über dem Naturhistorischen Museum Wien im April 2020

© G. Wuchterl, Verein Kuffner-Sternwarte
Ein Vergleich von Webcam-Aufnahmen vom 9. März und vom 8. April 2020 (Inserts)
Wildnisgebiet Dürrenstein (oben) und dem Nationalpark Kalkalpen (unten)
Vergleich des Nachthimmels über dem Wildnisgebiet Dürrenstein (oben) und dem Nationalpark Kalkalpen (unten). In beiden Fällen ist die Milchstraße noch deutlich zu erkennen. Im Nationalpark Kalkalpen verschwindet die Milchstraße aber bereits deutlich über dem Horizont im Ablicht des oberösterreichischen Alpenvorlandes (linkes Bilddrittel, unten).

© G. Wuchterl, Verein Kuffner-Sternwarte/NHM Wien
  
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