Osteologische Sammlung


Die osteologische Sammlung (Skelettsammlung) am Naturhistorischen Museum Wien zählt mit ihrem derzeitigen Bestand von etwa 40.000 Objekten europäischer und außereuropäischer Provenienz zu den umfangreichsten Kollektionen dieser Art in der Welt. Die ältesten hier aufbewahrten menschlichen Skelettreste sind jungpaläolithisch (ca. 38.000 Jahre), die jüngsten neuzeitlich datiert. Sie stellen das Basismaterial für die Erforschung der Herkunft und Entwicklung des Menschen sowie für die Analyse der diesen Veränderungen zugrundeliegenden Bedingungen und Mechanismen dar.
 

Der Beginn der forcierten Sammeltätigkeit menschlicher Skelettreste lag in der ersten Hälfte des 19. Jhdts., als aus der Anatomie heraus ein vermehrtes Interesse an der Variabilität und Evolution des Menschen entstand. Den Grundstock bildeten die bei großen Forschungsreisen und Expeditionen, z.B. der Erdumsegelungs-Expedition der Fregatte „Novara" (1857-1859) erworbenen Cranien, sowie Kollektionen, die u.a. von der „Anthropologischen Gesellschaft in Wien" und zahlreichen Privatsammlern (z.B. F. Tappeiner) dem Museum abgetreten wurden.

Eine wesentliche Bereicherung erfuhr die osteologische Sammlung auch durch diverse Ankäufe, wie etwa der Weisbach-Sammlung, welche mehr als 1000 Sammlungsobjekte umfaßt; der gute Erhaltungszustand und die vom Pathologen Weisbach penibel dokumentierten Individualdaten begründen die Relevanz dieses Sammlungsteiles auch für aktuelle klinische Fragestellungen (Tuberkuloseepidemiologie, Gelenkmorphologie).

Den mengenmäßigen Hauptteil des Bestandes repräsentieren Skelettreste, welche in prähistorische und historische Zeit datieren und im Verlaufe von archäologischen Grabungen sichergestellt werden konnten. Mit einem absoluten Alter von ca. 38.000 Jahren stellen die menschlichen Skelettreste, die 1908 vom damaligen Leiter der anthropologisch-prähistorischen Sammlung, Josef Szombathy, bei systematischen Grabungen in einem Höhlensystem in Südmähren (Fundort: Lautsch) entdeckt wurden, die ältesten unter den hierorts verwahrten Funden dar.

Sie nehmen eine Schlüsselposition bei der Frage nach der Art des Überganges von Homo neanderthalensis zu Homo sapiens in Mitteleuropa ein. Die ältesten im NHM aufbewahrten menschlichen Skelettfunde stammen aus der Höhle von Lautsch. Sie zählen zu den ältesten Homo sapiens Funden Europas)

Neben den Funden aus Lautsch werden in der Osteologischen Sammlung auch die wertvollen jungpaläolithischen menschlichen Skelettreste aus der Fundstelle von Willendorf (ein Unterkiefer- und Oberschenkelfragment), sowie aus Spitz/Mießlingtal (Unterkieferfragment) und aus Stillfried/March (zwei Milchzahnfragmente) aufbewahrt.

 

Während ein Großteil der Altbestände aufgrund der Heterogenität und Unvollständigkeit für unsere gegenwärtigen Fragestellungen nur bedingt herangezogen werden kann, sind die umfangreichen und gut dokumentierten Skelettpopulationen, welche bei systematischen Rettungs- und Forschungsgrabungen seit etwa 1970 geborgen werden (u.a. Skelettserien aus dem Neolithikum, der frühen Bronze- und Eisenzeit, dem Frühmittelalter), von ganz besonderer Relevanz für die Erforschung und Rekonstruktion von Umwelt- und Lebensbedingungen früher prähistorischer Gesellschaften in unserer Region.

Im Zentrum stehen Fragen der Paläoepidemiologie, Demographie, Ernährung, Bevölkerungsbewegung, sowie die Dokumentation und Diskussion medizinhistorisch relevanter Befunde. Die osteologischen Sammlungsobjekte wurden und werden von den Kustoden in der Regel nach bestimmten Qualitäts- und Quantitätsmerkmalen selektioniert und akquiriert („Seltenheit", „comperativ-anatomischer" Wert, Datierung, u.a.). In der Zusammensetzung der Kollektion spiegelt sich daher auch das Forschungsinteresse, die wissenschaftlichen Konzepte und auch die Popularisierungsabsichten verschiedener Epochen und damit die museale Fachentwicklung seit der Etablierung der Abteilung im Jahre 1876 wieder.
 

Die Sammlung ist daher auch für reflexive Analysen der Forschungskonzepte im historischen Kontext, insbesondere auch für die Zeit der politischen Instrumentalisierung, von Bedeutung. Das handschriftliche und EDV-Inventar umfaßt 24.000 Individuen, die Neuzugänge werden laufend restauriert, dokumentiert und inventarisiert; fallweise werden Ausgliederungen und Rückstellungen von Beständen vorgenommen.

 

  
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