Fossilfund in den Alpen: Einblicke in die Lebewelt der urzeitlichen Tiefsee

21. Mai 2014
Der größte und doch am wenigsten erforschte Lebensraum der Erde – die Tiefsee – fasziniert Menschen seit Jahrtausenden. Umstritten ist, ob ihre Bewohner tatsächlich „Lebende Fossilien“ sind, oder erst in erdgeschichtlich jüngerer Zeit einwanderten, auch, weil Tiefsee-Fossilien mit zunehmendem erdgeschichtlichem Alter immer seltener werden.
Der größte und doch am wenigsten erforschte Lebensraum der Erde – die Tiefsee – fasziniert Menschen seit Jahrtausenden. Umstritten ist, ob ihre Bewohner tatsächlich „Lebende Fossilien“ sind, oder erst in erdgeschichtlich jüngerer Zeit einwanderten, auch, weil Tiefsee-Fossilien mit zunehmendem erdgeschichtlichem Alter immer seltener werden.

In den letzten Jahren hat sich unter Biologinnen und Biologen die Meinung etabliert, die Lebewelt der Tiefsee sei im Zuge von Massenaussterben und globalen Veränderungen der Ozeane wiederholt ausgelöscht und durch Einwanderer aus den flachen Meeresgebieten ersetzt worden. Da Überreste von Organismen aus der Tiefsee jedoch nur selten als Fossilien gefunden werden, war eine direkte Überprüfung dieser Annahme bisher kaum möglich.

Nun ist einem internationalen Forscherteam unter Beteiligung des Naturhistorischen Museums in Wien und der Universität Göttingen und ein spektakulärer Fund gelungen: In etwa 180 Millionen Jahre alten Ablagerungen in den Salzburger Alpen fanden sie fossile Überreste von fast 70 verschiedenen Tiefsee-Organismen. Durch einen Vergleich mit heute noch lebenden Verwandten konnten sie zeigen, dass die Anpassung an die Tiefsee zwar vor Aussterben schützt, sie deswegen aber noch lange keine evolutive Endstation für Organismen darstellt, die im harten Konkurrenzkampf in küstennahen Regionen nicht mehr bestehen können. Im Gegenteil, die in der angesehenen Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B vorgestellte Studie zeigt einen dynamischen Austausch von Artenvielfalt zwischen Tiefsee und Schelfmeeren.

Die neu entdeckten Fossilreste stammen von Seeigeln, Seesternen, Schlangensternen, Seelilien, Schnecken sowie den sogenannten Armfüßern, die heute in der Tiefsee sehr häufig und artenreich sind. Aber wie kommen Tiefsee-Fossilien überhaupt in die Alpen? „Durch Plattentektonik“, erklärt Ben Thuy, Erstautor der Studie und zurzeit am Naturhistorischen Museum in Luxemburg tätig, „wurden die Ablagerungen des damaligen Ozeans im Laufe von Jahrmillionen zu einem Gebirge aufgefaltet. Schichten die einstmals in großen Meerestiefen abgelagert wurden sind dadurch heute an Oberfläche zugänglich.“

Etliche der von dem Team um Ben Thuy untersuchten Fossilien sind die ältesten Nachweise ihrer Familien – älter als ihre Verwandten aus Ablagerungen von küstennahen Schelfmeeren. Daraus lässt sich schließen, dass diese Tiergruppen in der Tiefsee entstanden und nicht, wie bisher vermutet, aus dem Flachwasser in die Tiefsee abgewandert sind. Zudem kennt man etliche der jetzt in den Alpen gefundenen Organismen seit Jahrmillionen nur noch aus Tiefsee-Ablagerungen, aber nicht aus Flachmeer-Ablagerungen.

„Die Salzburger Fundstelle erlaubt uns einen einzigartigen Einblick in Zusammensetzung von Tiefseefaunen vor rund 180 Millionen Jahren; damals wie heute waren Stachelhäuter, wie Schlangensterne, Seelilien und Seeigel eine wesentliche Komponente der Tierwelt im Tiefwasser“ sagt Mitautor der Studie Andreas Kroh vom Naturhistorischen Museum in Wien, ein Spezialist für ausgestorbene Seeigel. „Die Tiefsee spielt eine wesentlich größere Rolle als Ort der Entstehung und der Erhaltung von Artenvielfalt als bisher angenommen. Umso kritischer sollte man die Auswirkungen der tiefen Schleppnetz-Fischerei und des aktuell geplanten Erzabbaus in der Tiefsee prüfen.“ ergänzt Ben Thuy.
 
Lebende Seelilien und Haarsterne in der Tiefsee.
© Karl Stanley, Roatan Institute of Deepsea Exploration.
Lebende Seesterne in der Tiefsee.
 © Karl Stanley, Roatan Institute of Deepsea Exploration.
Lebende Seelilie in der Tiefsee.
© Karl Stanley, Roatan Institute of Deepsea Exploration.
Lebende Seesterne in der Tiefsee.
© Karl Stanley, Roatan Institute of Deepsea Exploration.
  
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