Seeigelforschung im Jahr des Aristoteles

22. Dezember 2016
Neues Forschungsprojekt am NHM Wien
In einem eben gestarteten und vom Fonds zur Wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten Forschungsprojekt am NHM Wien untersucht Andreas Kroh, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Geologie und Paläontologie des NHM Wien, eine Seeigelgruppe, die bereits Aristoteles beschrieb.

Gemeinsam mit einem internationalen Team untersucht er die Evolution dieser Gruppe. „Die „typischen“ Seeigel, wie sie vielen Urlaubern vom Aufenthalt an den Felsküsten des Mittelmeers bekannt sein dürften, sind nämlich bei weitem nicht so gut erforscht, wie man vermuten würde“, so Kroh. „Obwohl sie seit mehr als 100 Jahren in der Erforschung der Zellteilung und Fortpflanzung als Studienobjekte dienen und wegen ihrer Geschlechtsorgane, die als Delikatessen gelten, zu Millionen gezüchtet und gefischt werden, ist über ihre Entstehung noch relativ wenig bekannt.“

Erste Vertreter gab es vermutlich bereits zur Zeit der Dinosaurier, vor mehr als 130 Millionen Jahren. Da sie jedoch vor allem auf Felsböden und in Riffen leben, wo mehr Material abgetragen als abgelagert wird, blieben sie nur selten erhalten. In diesen Lebensräumen nehmen sie heute eine ökologisch wichtige Stellung ein, regulieren das Algenwachstum und produzieren große Mengen von feinem Kalkschlamm. Sie schaffen dadurch jene Bedingungen, die anderen Meerestieren das Überleben ermöglichen.

Auch im Rahmen der World Register of Marine Species (WoRMS)-Initiative spielen Seeigel daher eine wichtige Rolle. Mehr als 250 internationale Forscherinnen und Forscher versuchen in diesem Projekt, ein möglichst komplettes Inventar aller Meereslebewesen zu erstellen, um die Erforschung dieses mit rund 70% der Erdoberfläche größten Lebensraumes unseres Planeten zu erleichtern. Mehrere österreichische Institutionen sind an dieser Initiative beteiligt, darunter Andreas Kroh, der verantwortlich für die Gruppe der Seeigel in WoRMS und Vize-Vorsitzender des Steering Committee von WoRMS ist.

Anlässlich des 2400sten Geburtstages des Philosophen Aristoteles erklärte die UNESCO das Jahr 2016 zum „Jahr des Aristoteles“. Neben seinen herausragenden Leistungen in Philosophie und Wissenschaft sind seine Beiträge zur Meereskunde nur wenigen bekannt. Tatsächlich beschäftigte sich Aristoteles einen großen Teil seines Lebens mit Meerestieren und beschrieb viele der damals genutzten Tierarten des Mittelmeeres. Seine Arbeiten bildeten für viele Jahrhunderte die Grundlage für die Forschung und beeinflussten die spätere Benennung zahlreicher Meerestiere und ihrer Körperteile nachhaltig. Der Kieferapparat von Seeigeln zum Beispiel ist seit dem 18. Jahrhundert auch als „Laterne des Aristoteles“ bekannt. Dieser Name beruht jedoch auf einer Verwechslung, wie Forscher der Universität Thessaloniki herausfanden – die „echte“ Laterne des Aristoteles war nicht der Kieferapparat, sondern die Schale der Seeigel, die mit ihren vielen Poren antiken Laternen aus der Zeit von Aristoteles ähnelt.

Das Ende des „Jahres des Aristoteles“ diente Meeresbiologen des Europäischen LifeWatch Projekts und des World Register of Marine Species (WoRMS) als Anlass, auf die Schüsselrolle von Aristoteles im Bereich der Erforschung der Meere und ihrer Vielfalt an Tieren und Pflanzen hinzuweisen. Heute, mehr als jemals zuvor, greift der Mensch massiv in die Ökosysteme der Meere ein, denn Meerestiere bilden einen wesentlichen Anteil der Nahrung in vielen Ländern der Erde. Zusätzlich bedroht die globale Erwärmung die artenreichsten Lebensräume unseres Planeten – die Korallenriffe.

Weiterführende Informationen über Aristoteles und seine Rolle in der Meereskunde:
http://www.lifewatch.be/en/2016-news-aristotle

Homepage von WoRMS:
http://www.marinespecies.org/index.php

Seeigel in WoRMS:
http://www.marinespecies.org/echinoidea/

Homepage des Forschungsprojekt FWF P 29508-B25:
http://www.nhm-wien.ac.at/forschung/geologie__palaeontologie/forschungsprojekte/fwf_p29508-b25

Homepage von Andreas Kroh:
http://www.nhm-wien.ac.at/kroh.html
Seeigel
Das von innen beleuchtete Skelett des Seeigels Tripneustes gratilla elatensis zeigt die warum Aristoteles diesen Teil des Skeletts mit Laternen verglich. Ähnlich wie bei antiken griechischen Bronzelaternen (‘Lychnouchos’) dringt das Licht durch die Poren im Skelett des Seeigels.

 © NHM Wien
Fossile Seeigel
Auch fossil können Seeigel  Massenvorkommen bilden (hier Schizechinus aus dem Pliozän, ausgestellt in Saal IX des NHM Wien).
Laterne des Aristoteles
µCT-Scan des Seeigels Strongylocentrotus mit gelb-orange eingefärbter „Laterne des Aristoteles“, dem Kieferapparat der Seeigel

© 3D-Rekonstruktion des µCT-Scans von Alex Ziegler, Universität Bonn
Das von innen beleuchtete Skelett des Seeigels Tripneustes gratilla elatensis
Der Seeigel Echinometra (hier gemeinsam mit einem Schlangenstern) ist einer der häufigsten Seeigel weltweit – Populationsdichten von bis zu 100 Seeigeln pro Quadratmeter sind keine Seltenheit.
  
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